„Nicht Zoffen und Krachen, sondern Hoffen und Machen“
Zur Eröffnung des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg erinnerte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Erzpriester Radu Constantin Miron, in seinem Grußwort aus der Ökumene im Anschluss an den Eröffnungsgottesdienst auf dem Nürnberger Hauptmarkt an die Einheitserklärung der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen aus dem vergangenen Jahr und die darin formulierte „Ökumene des Herzens“. Mit Dankbarkeit für ein gewachsenes Verständnis und mit dem Aufruf zum gemeinsamen „Hoffen und Machen“ überbrachte der griechisch-orthodoxe Erzpriester die guten Wünsche aller 25 Mitgliedskirchen der ACK. In seiner Ansprache hob der Vorsitzende der ACK hervor, dass aus fast allen Mitgliedskirchen auch Vertreterinnen und Vertreter als Gäste und Mitwirkende auf Podien, bei Vorträgen und Gottesdiensten oder in der erstmals bei einem evangelischen Kirchentag errichteten „Stadt der Ökumene“, der ACK-Polis auf dem Jakobsplatz, beteiligt seien. „Das nennt man Ökumene! Oder, wie gesagt – seit Karlsruhe: Ökumene des Herzens!“ zog der orthodoxe Theologe ein Fazit der zurückliegenden Jahre. „Wir haben voneinander gelernt, dass Liebe, die in unserem Privatleben Zärtlichkeit bedeutet, sich in der Öffentlichkeit als Gerechtigkeit zeigt“, zitierte der Vorsitzende der ACK aus der Karlsruher „Erklärung zur Einheit“.
„Wir sind unvollständig ohne die andere Perspektive“
In seiner Bibelarbeit tags darauf ermutigte Miron dazu, sich als unterschiedliche Konfessionen vermehrt wechselseitig in den Blick zu nehmen und zu entdecken. Er verstehe die Aufgabe für die Ökumene so, hinter die eigene, vorgefertigte Perspektive über die „andere Kirche“ zu schauen, wie wenn man bei einem Memoryspiel die Karten umdecke, um passende Paare zu finden: „Christsein bedeutet, zu wissen, dass es das andere Kärtchen gibt und wo es in etwa liegt“, veranschaulichte der Erzpriester den Gedanken und ergänzte: „So schön mein eigenes Kärtchen auch ist, es ist und bleibt unvollständig ohne das andere.“
Zu dieser Entdeckungsreise bot der Kirchentag in Nürnberg zahlreiche Möglichkeiten. Gemeinsam mit seinen Gast- und Mitgliedskirchen hatte die ACK ein vielfältiges und lebendiges Programm für den Kirchentag mitvorbereitet, das sich in einer eigenen kleinen „Stadt der Ökumene“ rund um den Jakobsplatz präsentierte. Darüber hinaus waren Vertreterinnen und Vertreter dieser Kirchen in zahlreichen Workshops, Podien und Andachtsformaten in den Kirchen, auf den Plätzen und nicht zuletzt in der Ev. Hochschule als Referentinnen und Referenten aktiv.
Die Teilnehmenden am Workshop „Zukunft der Kirche – Kirche der Zukunft?!“ unter der Leitung von Apostel Arne Herrmann, Pfarrer Dr. Jörg Bickelhaupt und Pastor Lothar Peitz (ACK Hessen-Rheinhessen) kamen am Kirchentagsfreitag zu dem Schluss: Wir brauchen auch in Zukunft einerseits immer noch die konfessionelle Ökumene, um die Vielfalt der Kirche Jesu Christi, die der Verschiedenheit der Menschen entspreche, weiterhin zu ermöglichen. Anderseits ist die Ökumene nicht nur ein aus der Not geborenes Instrument, um in Zeiten kirchlicher Transformationsprozesse wenigstens gemeinsam noch zu versuchen, was einzelne Konfessionen selber nicht mehr können. Sondern die Chance, die von Jesus Christus in seinem Hohepriesterlichen Gebet (Joh. 17) erbetene „Einheit“ seiner Nachfolger*innen mit Gott zu leben. Die Stärken des anderen nicht neidisch als Konkurrenz, sondern als Bereicherung wahrzunehmen.
„Ein Ökumene des Herzens hat das Potenzial, viel tiefer zu gehen als selbst der messerschärfste Verstand.“
Am Kirchentagssamstag lud ein international besetztes Podium in der Jakobskirche zur Beschäftigung mit der ÖRK-Einheitserklärung „Ökumene des Herzens“ ein, die im Vorjahr auf der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe verabschiedet worden war. Dafür führte Susan Durber, Europapräsidentin des ÖRK und Mitglied des Redaktionsteams in den Entstehungsprozess und das Hauptanliegen des Einheitsdokumentes ein: In der heutigen Zeit brauche es eine erneuerte Ökumene für eine postkoloniale und dekolonisierte Welt und eine ökumenische Bewegung die eine neue Struktur und Kultur hat, die ohne Scheu Körper, Verstand und Herz umfasst.
Die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Deutschland, Verena Hammes, die im Vorfeld der ÖRK-Vollversammlung auch an dem Einheitsdokument mitgearbeitet hatte, hob in ihrem Beitrag hervor, dass in Deutschland die ganze Vielfalt der Ökumene meist noch nicht wahrgenommen werden würde. „Wirklich ernst genommen, bietet die Ökumene des Herzens die Chance, Ökumene ganz neu zu denken“. Für die Situation des kirchlichen Lebens vor Ort bedeute dies: „Ökumene ist nicht etwas Zusätzliches on top, sondern wird zum Normalfall und führt zu einer Ökumene der Entlastung.“
Quintessenz: Vielfalt erlebbar gemacht, aber Ökumene immer noch nicht selbstverständlich!
Das Interesse der Besucherinnen und Besucher am Kirchentag, am „Markt der Möglichkeiten“ in den Messehallen, an den Workshops und Podien an verschiedenen Orten und in der „Stadt der Ökumene“ auf dem Jakobsplatz war hoch. Teilweise bildeten sich an den Mitmachstationen sogar lange Warteschlangen. Besonders die „Candy-Bar“ der ACK entwickelte sich zu einem Publikumsmagnet. Beide Veranstaltungszentren am Jakobsplatz, die römisch-katholische St. Elisabeth-Kirche und die evangelisch-lutherische Kirche St. Jakob, konnten mehrfach dem Besucheransturm nicht gerecht werden und mussten wegen Überfüllung geschlossen werden. Und viele Gäste in der „Stadt der Ökumene“ waren überrascht, dass Ökumene mehr als „nur evangelisch und katholisch“ ist. „Bei Ökumene in Deutschland ist noch Luft nach oben“ resümierte deshalb auch Verena Hammes als Geschäftsführerin und ganz ähnlich der Vorsitzende der ACK Deutschland, Erzpriester Radu Constantin Miron: „Ökumene wird meist immer noch als bilaterale Ökumene der beiden großen Kirchen verstanden, dabei nimmt die Zahl der Mitglieder der Migrationsgemeinden und der sogenannten ‚hierzulande kleinen Kirchen‘, den HKKs, prozentual zu!“ In Anlehnung an das Motto des Kirchentages formulierte der griechisch-orthodoxe Erzpriester schließlich seinen Wunsch: „Jetzt ist die Zeit für multilaterale Ökumene!“
Fotos: ACK Deutschland